Widerspruch im Herzen der Physik
Krümmung der Raumzeit
1915 veröffentlicht Albert Einstein seine Allgemeine Relativitätstheorie und bringt damit unser traditionelles Weltbild ins Wanken. Anders als Isaac Newton knapp 200 Jahre vor ihm beschreibt er die Gravitation nicht mehr als Kraft, die von der Masse und der Entfernung zweier Planeten abhängt, sondern führt ein neues Konzept in die Physik ein: die Raumzeit. «Einstein verschmilzt den uns bekannten dreidimensionalen Raum mit der Zeit zu einem vierdimensionalen mathematischen Gebilde. Er erklärt die Gravitation geometrisch durch die Krümmung der Raumzeit», sagt ETH-Professor Renner.
Nach diesem Bild erzeugen schwere Objekte wie Planeten Dellen in der Raumzeit. Deren Geometrie wiederum bestimmt, wie sich Objekte darin fortbewegen. Vereinfacht erklärt: Die Raumzeit ist wie ein Trampolin, auf dem eine schwere Kugel eine Delle erzeugt. Legt man einen Tennisball an den Rand, rollt er die Krümmung hinab auf die schwere Kugel zu. Mit dem Konzept der Raumzeit lässt sich zum Beispiel erklären, warum Uhren in einem Flugzeug schneller laufen als auf der Erde. Auch die spezielle Bahn, auf der der Planet Merkur um die Sonne kreist, war durch Einsteins Theorie plötzlich kein Rätsel mehr.
Die Unschärfe der Quantenwelt
Etwa zeitgleich mit Einstein erschüttern Physiker wie Werner Heisenberg, Niels Bohr oder Erwin Schrödinger unser Bild von der Welt im Kleinen. Dort, wo Elektronen, Protonen und andere Elementarteilchen ständig in Bewegung sind und sich anziehen und abstossen, herrschen eigene Gesetze. Während wir die Bahnen der Planeten mit Einsteins Formeln so genau berechnen können, als würden sie auf Schienen um die Sonne kreisen, gilt diese Eindeutigkeit für die Objekte der Quantenwelt nicht mehr. Im Mikrokosmos der Atome und Teilchen gibt es solche Bahnen nicht, und an die Stelle des Determinismus der klassischen Physik treten probabilistische Aussagen. «Ein Elektron oder ein Proton kann an mehreren Orten gleichzeitig sein. Erst wenn wir es messen, hat es einen bestimmten Ort. Für diesen können wir vorab nur mehr eine Wahrscheinlichkeitsverteilung ermitteln», erklärt ETH-Professorin Anna Soter, die am Institut für Teilchenphysik forscht.
Solche Unschärfen sind in der Allgemeinen Relativitätstheorie jedoch nicht vorgesehen. Denn wenn ein Teilchen gleichzeitig an mehreren Orten ist, lässt sich nicht mehr berechnen, wo es die Delle in der Raumzeit erzeugt. Und dass auch kleinste Objekte die Raumzeit krümmen und damit die Gravitation beeinflussen, gilt als unbestritten. Schliesslich haben sie Masse, genau wie grössere Objekte. Da die Erde letztlich aus Teilchen besteht, denken viele Physikerinnen und Physiker, dass die Allgemeine Relativitätstheorie in die Quantenmechanik integriert werden müsste. Doch bis heute ist unklar, wie sich die Gravitation aus diesen Teilchen und ihren unscharfen Bewegungen ergeben soll (Quelle: https://ethz.ch/de/news-und-veranstaltungen/eth-news/news/2023/09/globe-widerspruch-im-herzen-der-physik.html).
